Ich werde es nie vergessen.
Energisch, wie es so meine Art ist, und ziemlich schwanger, klopfte ich im Winter 2009 an eine Ulmer Altbautür. Eine strahlende Frau in wallenden, gebatikten Mutter-Erde-Gewändern und Sandalen öffnete mir.
Zu dieser Zeit weigerte ich mich bereits, mir das 8. Schwangerschaftsoutfit noch eine Größe größer zu kaufen. Leider gehörte ich nie zu den elfenhaften Schwangeren, die bis zur 28.SSW nur den obersten Knopf ihrer alten Jeans auflassen und voll dünne Arme haben. Das war schon in Woche 9 vorbei.
Ich trug mit Vorliebe Fußgängerzonen-Panflötenspieler-Ponchos und dazu diverse
Lumpen in verschiedenen Schichten. An den Plattfüssen ausgelatschte Lammfellboots und einen todschicken Janis-Joplin-Schlapphut gegen den
Schnee. Ich wundere mich
bis heute, dass sie mich nicht vor Schreck reflexartig niedergeschlagen hat.
Meine Familie wollte nicht mehr mit mir gesehen werden, weil sie fanden, ich sähe aus wie die Taubenfrau aus "Kevin allein in New York". Sie warfen mir sogar vor, ich würde anderer Leute Kinder verschrecken.
Meine Hebamme. Ein Relikt aus guten, alten Zeiten
Die Frau, die mich zu einem Sofa geleitete, war meine Vor- und Nachsorgehebamme und ihre braunen Locken wurden schummerig beleuchtet von fleischfarbenen Rosenquarzlampen und Teelichtern. Es roch nach Waldorfschulbedarf-Laden. Nach heiler Welt. Nach "gesund" und nach "Vertrauen".
Sie war der Stereotyp eines Vorurteils. So hatte ich mir Hebammen vorgestellt. Ich war von einer zur anderen Sekunde tiefenentspannt.
Ich war glücklich, als zwei warme Frauenhände meinen schwangeren Dickbauch abtasteten, drückten, fühlten und sie lächelte und in breitestem schwäbisch sagte:
"So, des kleine Ärschle zeigt scho' nach oba".
Mein Hinterteil konnte sie damit jedenfalls nicht gemeint haben.
Nur eine Schwäbin kann so etwas sagen und es ausschließlich liebevoll meinen.
So sind Hebammen.
Manche tragen auch an mitteleuropäische Temperaturen angepasste Kleidung.
Ich habe mich vom ersten Tag der Schwangerschaft an unheimlich um mein Kind gesorgt. Ich war eine Katastrophe. Ich war SCHWANGER. Das ERSTE MAL!
- War es eine ganze Weile ruhig, war ich irgendwann so beunruhigt, dass ich meinen Bauch so lange hin und her schubste, bis ich einen verärgerten Tritt in die Milz bekam.
- Jedes Ziehen in der Leiste war ein Anzeichen für eine drohende Fehl- oder Frühgeburt,
- die Plazenta war in der 11. Woche auf jeden Fall in einer geburtsunmöglichen Position und der
- Kaiserschnitt wahrscheinlich auch schon durch den drohenden Bandscheibenvorfall vorprogrammiert. (ich hatte Abends etwas "Rücken"...)
- Wenn ich viel Durst hatte, dachte ich an Schwangerschaftsdiabetes und
- weil das Kind in der 24. Woche noch mit den Kopf oben lag, beschäftigte ich mich gedanklich bereits mit einer Steißgeburt.
- Der Plan, kein Einzelkind zu bekommen war gestrichen, als ich von möglichen Geburtsverletzungen in einem Forum las und
- Ach ja, ich habe natürlich mindestens 18 Mal Fruchtwasser verloren.
Ohne meine Hebamme, hätte mich Google wahrscheinlich direkt in die Klapse gebracht.
GOOGLE.NIEMALS.DEINE.SCHWANGERSCHAFTS-SYMPTOME.NIEMALS.
Es ist nämlich immer eine drohende Fehlgeburt.Oder Dein eigener Tod. Meistens beides.
Schwangeren-Internetforen sind voll mit hysterischen Demagogen-Schwangeren, die andere Frauen mit ihren absurden Geschichten erschrecken wollen.
Falls Du (noch) eine hast.
Das tat ich. Ich war in der glücklichen Situation, auch noch mit einer der Besten ihres Berufsstandes verschwägert und mit einer befreundet zu sein, so dass ich meine Paranoia geschickt aufteilen konnte, ohne zu sehr zu nerven. Hoffe ich.
Ich lernte Folgendes:
-Ein lebhaftes Baby ist ein gutes Zeichen.
-Babies schlafen auch mal.
-Leistenziehen kommt vermutlich von sich dehnenden Mutterbändern. Mutterbänder sind an Gebärmüttern dran und die wird größer. Das zieht.
-Plazenten können in der 11. Woche da rumliegen, wo sie gerne möchten. Wie Teenager. Die meisten wachsen sich dann ganz unproblematisch aus. Ärzte, die in der 11. Wochen von "Placenta praevia" sprechen, sind hoffentlich von Dir falsch verstanden worden.
-Rückenschmerzen kommen oft durch die neue Gewichtsverteilung und das weicher werdende Gewebe. Außerdem von 35kg Gewichtszunahme innerhalb von 25 Wochen. Jaaa-haaaaa...
-Viel Durst kommt vermutlich vom Zwiebelrostbraten zum Abendbrot?! (Ok, klingt plausibel.) Aber mach zur Sicherheit mal einen Zuckertest beim Arzt.
-Babyköpfe dürfen lange oben liegen. Relax! Wir locken ihn schon noch nach unten mit Akupunktur, Taschenlampen und Räucherstäbchen. Abgesehen davon, rockst Du auch eine Geburt in "Beckenendlage". Es heißt nicht Steißgeburt.
- Wenn Du hustest oder lachst, ist das kein Fruchtwasser. Das ist vermutlich Pipi. Ausser, es hört nicht mehr auf zu tröpfeln. Nein, da kannst Du nichts dagegen tun, das ist nach der Geburt vielleicht sogar noch schlimmer (Whaaaat???). Ich helfe Dir, Deine Beckenbodenmuskeln wiederzufinden und ich vermeide absonderliche Gleichnisse wie "Gras zupfen" oder "Murmeln aufsammeln mit Genitalien". Danke sehr, Hebamme!
Jetzt wird's politisch: Hebammen sind kein Luxus.
Ab 2015 werden freiberufliche Hebammen nicht mehr haftpflichtversichert oder zusatzversichert. Kein Versicherer bietet das mehr an bzw. kann das Konsortium aus bisher drei Versicherern den Markt nicht halten, ohne den Dritten im Bunde, der Nürnberger Versicherung. Die ist ausgestiegen.
Ohne Versicherung darf eine Hebamme nicht arbeiten. Mehr als eine unglückliche Verkettung von teuren Umständen: Das ist Absicht und ich sage Euch auch, warum.
Freiberufliche Hebammen, also diejenigen, die nicht in einer Klinik oder Praxis angestellt sind, wird es dann nicht mehr geben. Auch Hebammen, die in einer Klinik arbeiten und nebenberuflich Vor- und Nachsorge machen, brauchen oft eine Zusatzversicherung, die es nicht mehr geben soll.
Die klassische Hebamme, die mit einem Autoaufkleber "Immer im Einsatz für Mutter und Kind" zu mir fährt, ist dann Geschichte. Die Frau, die nach uns und unserem Baby sieht und sich nicht daran stört, dass wir jetzt auch noch im Gesicht aussehen, wie die Taubenfrau aus Kevin allein in New York kommt nicht mehr.
Keiner geht mehr Nachts ans Telefon und beruhigt die aufgeregte Schwangere, weil sie regelschmerzartiges Ziehen mal wieder für Geburtswehen hält. Niemand macht sich auf in die Klinik, weil sie schon an der Stimme hört, dass die Wehen diesmal echt sind.
Keiner mehr da, der den Eltern zeigt, wie man einen Säugling badet oder ihn trotzdem stillt, wenn die Brust schon ganz blutig ist. Keine Rückbildungymnsatik, keine Geburtsvorbereitungskurse. Keiner, der noch nach dem Rechten schaut und ob es schon depressive Tendenzen sind, wenn die frischgebackene Mutter täglich 2 Stunden weint.
Ärzte sind für Hebammenaufgaben denkbar ungeeignet.
Abgesehen davon, dass sie eigentlich nie erreichbar sind, ist es gar nicht deren Aufgabe. Weder die des Gynäkologen, noch des Kinderarztes. Das können und wollen sie nicht (leisten) und sollen es auch gar nicht. Dafür gibt es Profis. Hebammen.
Wer nicht haftpflichtversichert ist, darf in Deutschland nicht mal Mofa fahren.
Die Hebamme haftet für das was sie tut, weil sie wissen (muss) was sie tut. Deswegen darf sie ihr Können auch berechnen. Ist eine Hebamme nicht mehr versicherbar, wäre sie vollkommen wahnsinnig, beruflich Babies oder Schwangere anzufassen. Wenn mal ein Fehler passiert, wer zahlt den Schaden?
Interessant ist die Konsequenz aus dieser unbedingten (absolut sinnvollen) Abhängigkeit haftpflichtversichert zu sein zu müssen: Die freiberuflichen Hebammen werden ganz abgeschafft, indem man ihnen die Versicherungsmöglichkeit streicht.
Das widerrum, ist einer anderen, mächtigen Lobby vermutlich gar nicht so unrecht: Den Krankenkassen.Den Kassen spart das alles eine ganze Menge Geld, ohne dass sie sich in dieser öffenlichen Diskussion zur Zeit auch nur eine blaue Nase abholen.
|
(Auch wenn man diese Petition trotzdem unbedingt unterzeichnen sollte!)
Es geht um UNSEREN dicken Bauch und um alle Familien in Deutschland. Nicht nur um Loyalität und Symphatie für Hebammen.
Es geht um Euch selbst, Mädels!
Es geht um unsere Krankenversicherungsbeiträge, die nicht mehr für Schwangere und Familien ausgegeben werden.
Hebammen sind keine nostalgisch verklärten Leierkasten-Spieler! Ihre Leistungen sind keine nette Unterhaltung unseres Sozialsystems sondern ein Recht, dass sich immer mehr zu verwässern scheint.
Hebammen sind EURE und MEINE Daseinsfürsorge, wenn wir Kinder bekommen. Es sind unsere Herzen und die Herzen unserer Babies, die unserer Schwestern, Töchter, Söhne, Enkel und Freundinnen die hier gerettet werden müssen.
Den Frauen und Familien wird durch eine Hintertür etwas gestrichen, was eine bornierte Elite offensichtlich für entbehrlich hält und nicht bezahlen möchte, obwohl es sogar ein gesetzlich verankertes Leistungsrecht gibt. Es ist unser aller in den Sozialgesetzbüchern und im Mutterschutzgesetz verankertes Recht, dass schon jetzt in vielen Regionen in Deutschland leerläuft und den Krankenkassen viel Geld spart und in Zukunft sparen soll. Schon heute gibt es viele Regionen, in denen es keine Hebammen mehr gibt. Viele Geburtshäuser schließen.
Warum sind es unsere Kosten?
Wenn ich keine Hebamme mehr anrufen und befragen kann, wenn keiner die Vor- und Nachsorge meines Babies und mir mehr übernehmen kann, weil schlicht und einfach nicht mehr genug Hebammen da sind, dann wird der gesetzliche Anspuch auf Hebammenhilfe faktisch ausgehebelt. dann ist der Papier nicht wert, auf dem er steht.
§ 15 MuSchG legt fest, dass Schwangere ein Recht auf "Hebammenhilfe" haben und verweist unter Anderem auf das 5. Sozialgesetzbuch, das SGB V, in dem die Ansprüche für gesetzlich Versicherte geregelt sind. Hier kann man nachlesen, was man als gesetzlich Versicherter geltend machen kann.
§24d SGB V
1. Die Versicherte hat während der Schwangerschaft, bei und nach der Entbindung Anspruch auf ärztliche Betreuung sowie auf Hebammenhilfe einschließlich der Untersuchungen zur Feststellung der Schwangerschaft und zur Schwangerenvorsorge...
Deutlicher geht es nicht.
Außerdem folgt aus § 24f des SGB V, dass man einen Anspruch darauf hat, den Ort einer Geburt frei zu wählen und hierbei die Leistungen der gesetzlichen Kassen in Anspruch nehmen darf. Also nicht nur in einer Klinik.Auch eine Hebammenpraxis oder eine Hausgeburt ist bei diesen Orten wortwörtlich aufgeführt.Die gibt es nur bald nicht mehr, also läuft das auch ins Leere.
Ohne Hebammen bekommen wir weniger Leistungen und Hilfe in einem so entscheidenden Bereich unseres Lebens. Für den gleichen monatlichen Beitrag an die Kassen. Ein denkbar schlechter Deal. Wäre die Krankenkasse ein Fitnessstudio, würden wir Hanteln-werfend austreten.
Hebammen produzieren bei den Kassen abrechenbare Kosten für eine Gesellschaftsschicht, die sich viel zu wenig wehrt und die viel zu wenig Wähler stellt:Junge Paare mit Kindern oder Kinderwunsch.
Was den Hebammen und damit uns passiert, ist ein weiterer Baustein im systematischen Abbau von Leistungen für eine Bevölkerungsgruppe, die gerne politisch instrumentalisiert wird:
"Wir geben Milliarden für Familien aus"
Das hört man ständig, aber den jungen Leuten hört keiner mehr zu. Dabei ist es so einfach:
Menschen die sich sicher fühlen, bekommen Kinder, schrieb die umstrittene Autorin Birgit Kelle jüngst zu Recht.
Menschen, die sich lieben bekommen Kinder.
Menschen, die ein sicheres Einkommen haben, bekommen Kinder.
Menschen, die sich gesellschaftlich akzeptiert und nicht vernachlässigt fühlen, bekommen Kinder.
Das erreicht man nicht durch ein schwaches Recht auf einen KiTa Platz oder 12 Monate Elterngeld oder lächerliche 150 € im Monat Betreuungsgeld.
Genau diese vielen, kleinen Bausteine, die immer mehr und sukzessive abgebaut werden, die prägen die Welt, in die wir bewusst (mehr) Kinder setzen (sollen.)
Leistungen, wie beispielsweise die Versorgung durch Hebammen, sind entscheidend für unseren Stellenwert und für einen Platz für Kinder und Familien in einer alternden Gesellschaft.
Was tun?
Eine Lösungsmöglichkeit wäre es, einen Kontrahierungszwang für die Versicherer zu schaffen, damit sie Hebammen
versichern müssen.
Ausserdem könnte die Haftpflichtversicherung von den Krankenkassen oder der öffentlichen Hand übernommen oder bezuschusst werden, damit man sie als Hebamme überhaupt bezahlen kann. Machen wir also nicht den Fehler und tun so, als würde da eine Berufsgruppe "halt mehr Geld wollen" und rumstänkern. Das ist nicht der Fall.
Von besser verdienenden Hebammen profitieren wir selbst ganz direkt: Es wird nur dann überhaupt genügend geben, die uns begleiten und behandeln und unseren berechtigten Leistungsanspruch aus dem Gesetz mit Leben füllen.
Wenn sich nichts tut, bleibt uns letztendlich nur die Möglichkeit zu klagen. Das finden auch die Hebammen.
Gerichtlich dagegen vorzugehen. Das tut weh, das schafft Rechtssicherheit.
Um klagen zu können, muss man allerdings "beschwert" sein. In einem Recht.
"Aktivlegitimiert" nennt das der Jurist.
Deswegen kann man nicht für andere Leute Ansprüche einklagen, außer es ist ein abtretbares Recht.
Hier sind die Schwangeren und jungen Familien unter Anderem in ihrem Recht aus dem 5. Sozialgesetzbuch, das in § 24c und 24d und f verankert ist, verletzt.
Spätestens nächstes Jahr also, wird diese Versorgung und dieses Recht überall einbrechen und dann muss man als Schwangere mutig sein und sich wehren.
Ich helfe mit. Gemeinsam mit anderen Juramamas.
Ich kann Euch daher nur um Eure Meinung bitten und darum, die Hand zu heben und Euch Gehör zu verschaffen. Ich selbst bin nicht "aktivlegitimiert", denn ich bin nicht schwanger und ich habe auch eine Hebamme in der Familie.
So jedenfalls geht es hier nicht weiter.
Das stinkt doch alles zum Himmel.
*****weil,es (leider) sein muss: dieser Blog stellt keine rechtsberatung dar und enthält zum teil sowohl sarkastische als auch ironische bemerkungen. bitte holt immer anwaltlichen rat ein und verlasst euch nicht auf einen blog der juramama heißt. Ich werde hier journalistisch und nicht juristisch oder rechtsberatend tätig.*****
Kommentar schreiben