Ich wurde ausgeschlossen. Aus einer Gruppe. Vor fünf Tagen. Das letzte Mal ist mir das vor 20 Jahren passiert. Da wollte mich eine Gruppe von blöden Pferdemädchen nicht auf einen Ausritt mitnehmen. Sie haben mir erzählt, alle Ponys wären schon besetzt. Ich saß weinend in der stinkenden Pferdebox und zählte Pferdeäpfel. Meine Reiterhofkarriere war beendet bevor sie anfing.
Diesmal hat mich Facebook aus seiner Mitte katapultiert.
Erbarmungslos wurde mein privater Account gelöscht und ich dazu aufgefordert, meinen Ausweis mit Lichtbild zur Überprüfung bei Facebook einzureichen, sollte ich weiterhin ein Teil des größten sozialen Netzwerkes der Welt sein wollen. Ich wurde kurzerhand aus einer Weltgemeinschaft entfernt! Wie gemein! Ich hatte offenbar gegen die "Klarnamenpflicht" verstoßen, weil ich in meinem privaten Profil unter einem Spitznamen auftrat und damit Facebook in seinen "Gemeinschaftstandards" tief verletzt habe. So tief, dass sie nichts mehr mit mir zu tun haben wollen.
Ich fühlte mich fünf Tage lang wie Nordkorea, nur dass ich nicht mit atomarer Aufrüstung sondern mit automatischer Entrüstung und stillem Protest reagierte. Beleidigt und stur schickte ich meinen Ausweis natürlich nicht hin. Ich wollte mich nicht täuschen lassen, von dem falsch-freundlichen Hinweis: "Ni! Deine Freunde wollen wissen wer Du wirklich bist. Nenne uns Deinen echten Namen, dann schalten wir Dein Konto wieder frei."
Mann ey, meine Freunde wissen doch, dass ich das bin! Selbst wenn ich mich auf Facebook Xena, Göttin des Feuers nennen würde. Vermutlich gerade dann.
Vor einigen Monaten habe ich bereits über den Datenschutz und seine Tücken geschrieben. Darüber, wie gläsern wir alle werden und warum der Satz "Ich habe ja nichts zu verbergen" leider zu kurz greift. Aus diesem Grund biss ich mir jetzt natürlich die Fingernägel kurz. Ich haderte tagelang mit mir selbst und Facebook lies mich am langen Arm verhungern. Facebook vermisste mich überhaupt nicht. Wer mich suchte, mich verlinken oder kontaktieren wollte, fand nur noch einen gelb unterlegten Hinweis "Der Nutzer wird derzeit überprüft". Alarmiert riefen nach zwei Tagen vereinzelt Freunde bei mir an, ob ich vielleicht tot, im Knast oder im besten Falle komisch geworden sei, aber egal wie oft ich versuchte, mich wieder einzuloggen: Es blieb beim gelöschten Account.
Wäre meine Juramama-Facebookseite nicht zwingend mit meinem persönlichen Profil verlinkt und mir der Zugriff darauf nicht ebenfalls verwehrt geblieben, hätte ich vielleicht einfach wieder weinend Pferdeäpfel gezählt und wäre ein beleidigter Facebookausgestoßener geblieben.
Aber ich knickte ein.
Heute morgen.
Vor mich hin schimpfend wie das Faktu-Akut-Männchen aus der Hämorrhoidenwerbung, fotografierte ich meine Krankenkassenkarte mit dem abscheulichen Lichtbild und schickte sie an Facebook. Die Datenkrake hat mich besiegt und ich liege geschlagen auf dem Rücken. Getragen von der Hoffung, dass die biometrischen Daten meines verzerrten Fotos nicht nutzbar sein werden. Ich hoffe, dass ich jetzt nicht in fünf Jahren von Facebook über jede Überwachungskamera automatisch gesichtserkannt werde, wenn ich heimlich Sexspielzeug kaufen will und danach noch in den Baumarkt gehe. Nicht auszudenken, was das mit den Werbebannern auf meinem PC und den Vorschlägen für "Dinge, die mich interessieren könnten" Newsfeeds anstellen könnte.
Wenige Stunden später war mein privates Profil dann tatsächlich wieder da. Wortlos. Kein "Ach Nina, altes Haus. Du bist das! Wie schön, dass Du wieder da bist." oder etwas ähnlich angemessenes.
Wie eine zurückgenommene Ex-Freundin bin ich aber noch immer etwas schmallippig. Ich wollte zwar zurück zu ihm, aber jetzt wo es so weit ist, werde ich mal ein bißchen an den Hausregeln feilen. Ich will wissen, ob Facebook es nun wirklich ernst meint mit mir oder vielleicht nur mein Geld will? Oder meine Jungfräulichkeit? Beides ist nicht vorhanden, warum also diese Klarnamenpflicht?
Was wissen die über mich und was dürfen sie wissen?
Ich habe während meiner Wut-Recherchen in den fünf facebookfreien Tagen erfahren, dass Facebook mich durch das ganze Netz verfolgt, wenn ich den "Auf-Facebook-angemeldet-bleiben"-Haken setze oder den Privat-Surfen-Modus meines Browers nicht verwende. Facebook sammelt nicht nur Informationen aus Inhalten, die wir selbst bei Facebook teilen. Auch aus Seiten, die uns gefallen oder aus Artikeln und Videos, die wir anklicken und sogar aus externen Webseiten, die wir besuchen, wenn wir so durchs fröhlich Netz klickern. Wir werden also von Marc Zuckerberg beschattet. Besuchen wir die Webseite eines Fahrradgeschäftes, speichert Facebook beispielsweise "Radfahren". Haben wir eine Fitness-App auf dem Handy, speichert Facebook "Fitness" oder vielleicht "Diät".
Durch all diese zusammengetragenen Informationen werden wir zu einer definierten Zielperson, die in eine bestimmte Zielgruppe gehört. Diese Zielgruppen möchten Unternehmen gezielt erreichen, deswegen bezahlen sie Facebook dafür, dass sie an diesen Informationen teilhaben dürfen und uns Werbung für ihre Produkte oder Dienstleistungen anbieten können. In unseren Kontoeinstellungen können wir ausstellen, dass uns diese auf uns zugeschnittene Werbung angezeigt wird. Das heißt aber nicht, dass dann auch keine Informationen mehr über uns getrackt und gespeichert werden. Es gibt also kein Entrinnen. Übrigens ist es juristisch wirkungslos auf der eigenen Pinnwand einen Widerspruch oder ähnliches gegen die Facebook AGB zu posten, da diese Widerspuchserklärung mangels Zugang bei Facebook nicht wirksam werden kann.
Die klassische philosophische Frage "Wer bin ich?" oder das älteste Rätsel für Generationen von Männern "Was will die Frau eigentlich?" kann Facebook echt beantworten?
Im eigenen Profil unter "Einstellungen" kann jeder die über die eigene Person gesammelten Informationen mal anschauen. Ich tat es. Ich war sehr gespannt, was ich so für eine Type bin.
Tja, was soll ich sagen, ich bin einigermaßen bestürzt.
Ich möchte eigentlich nichts mehr mit mir zu tun haben, wenn das alles stimmt.
Die Pferdemädchen damals hatten absolut Recht, mit mir stimmt was nicht.
Weihnachten, Weiblichkeit, Ritter, Subkultur, Föderalismus, Meinungsführerschaft und Langeweile. Langeweile! Unter "Lifestyle"? Ich grab mich ein.
Unter "Hobbies" gibt es über mich zu wissen, dass ich gerne kreuzfahre, stricke, Hunde mag und Gartenarbeit. What? Ich beginne sofort systematisch über jede Reling zu kotzen, sobald ich ein Boot betrete. Stricken macht mich aggressiv, Hunde ignorieren seit jeher meine Autorität und ich hab es geschafft, dass der 50 Jahre alte Efeu in unserem Garten komplett eingegangen ist. Efeu ist eine Friedhofspflanze, die überlebt quasi überall. Nur nicht mit meiner Fürsorge.
Die Ausnahme in diesem offenbar schlechtesten Profiler-Programm aller Zeiten bildet die Kategorie "Essen und Trinken". Sie ist sowohl in Reihenfolge als auch Inhalt erstaunlich präzise: Bier. Wein. Schokolade. Kaffee. Hamburger. Gourmet. Wiener Schnitzel und Mett. Offenbar esse ich auch Lamas und Goldfische.
All diese Dinge gibt es über mich zu wissen. Nun auch unter meinem richtigen Namen. Und 80% sind falsch, es bringt also niemandem etwas. Ich finde das doof.
Ist die Klarnamenverpflichtung in Deutschland überhaupt erlaubt?
In den USA, da wo Facebook wohnt, sind bekanntlich Dinge erlaubt, die hier nicht erlaubt sind (mit Schußwaffen spazieren gehen). Es sind dort aber auch Dinge nicht erlaubt, die hier erlaubt sind (Brüste öffentlich zeigen). Die Klarnamenverpflichtung hat aber nicht nur bei uns sondern auch in den USA für heftige Debatten gesorgt. Deutsche Juristen sind überwiegend der Ansicht, dass die Klarnamenverpflichtung von Facebook gegen deutsches Recht verstößt. Bei uns gilt nämlich das Telemediengesetz, das recht klar aber auch pauschal in § 13 TMG sagt:
„Der Diensteanbieter hat die Nutzung von Telemedien und ihre Bezahlung anonym oder unter Pseudonym zu ermöglichen, soweit dies technisch möglich und zumutbar ist. Der Nutzer ist über diese Möglichkeit zu informieren.“
Privatpersonen wie uns nützt das TMG aber nicht viel, wir können daraus keine direkten Recht ableiten. Speziell berufene Personengruppen, wie Datenschutzbeauftragte, dürfen aber aufgrund des TMG zur Tat schreiten und Streit anfangen. Die Schleswig-Holsteiner Datenschützer und jüngst auch der Datenschutzbeauftragte der Stadt Hamburg, Johannes Caspar, haben gehandelt und sind gegen die Klarnamenverpflichtung vorgegangen. Da Facebook eine deutsche Niederlassung hat, die Facebook Germany GmbH in Hamburg nämlich, ist der oberste Datenschützer der Hansestadt hierfür zuständig und auch befugt. Er hat also 2015 seinen Datenschützerdrucker angeworfen und Facebook eine Verwaltungsanordnung geschickt. Unter Androhung von Bußgeldern von bis zu 50.000 € forderte er "Facebook Deutschland" auf, die Klarnamenforderung zurückzunehmen und betroffene Profile wieder unter den von den Nutzern gewünschten Namen freizugeben. Das Milliardenunternehmen Facebook zählte vermutlich erstmal kurz in der Kaffeekasse nach, ob da vielleicht noch 50.000 € in Münzen rumkullern, entschied sich aber trotzdem, der Anordnung nicht zu folgen und einen Eilantrag zu stellen. Das geht und Facebook bekam auch Recht.
Das Hamburger Verwaltungsgericht hat Facebook den Rücken gestärkt (Beschl. v. 03.03.2016, Az. 15 E 4482/15.) Das deutsche Telemediengesetz erlaubt zwar eine anonyme Nutzung, jedoch sei das deutsche Recht in diesem Fall nicht anwendbar, sondern das irische Recht.
Das europäische Datenschutzrecht und auch das Bundesdatenschutzgesetz sehen vor, dass in Fällen der "Datenverarbeitung" das Recht des Landes anzuwenden ist, in dem die Datenverarbeitung stattfindet, also dort wo die Server stehen. Die EU-Datenschutzrichtlinie nennt das das "Sitzlandprinzip". Die Hamburger Niederlassung kümmert sich, so das Gericht, hauptsächlich um das Marketing, die Datenverarbeitung selbst finde aber in Irland statt, da Facebook seine europäischen Server dort und nicht in Deutschland aufgebaut hat. Aus steuerlichen Gründen.
Schon das OLG Schlewig 2013 und im März 2016 auch das Hamburger VG haben also entschieden, dass quasi die Iren für die Sache zuständig seien. Die Iren werden aber natürlich einen Teufel tun und sich für deutsche Standards stark machen und damit ein solches Unternehmen wie Facebook verprellen. Hier offenbart sich leider die große Tücke des Europarechts. Leider machen die Gerichte hiervon viel zu oft Gebrauch und drücken sich um mutige Entscheidungen. Das Ergebnis ist dann leider oft: Stillstand. Außer Caspar ist nochmal ein wackerer Krieger und legt Beschwerde beim Hamburger Oberverwaltungsgericht ein, die Chancen stehen nicht schlecht.
Die Entscheidung des VG Hamburg über die Klarnamen steht nämlich nicht unbedingt im Einklang mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes.
Der hatte im Fall von Suchmaschinen im Jahr 2014 entschieden, dass sehr wohl das jeweilige nationale Recht anwendbar sein könne, selbst wenn die Server in einem anderen EU Land stünden. In Bezug auf Datenschutzrechte und das "Recht auf Vergessenwerden" hatte ein Spanier Google-Spain verklagt, weil ein Eintrag über ihn aus dem Jahre 1998 zwar inhaltlich korrekt, aber veraltet war. Der EuGH überaschte damals sogar die Datenschützer, als es sich im Fall "Google" vom "Sitzlandprinzip" (und damit Irland) verabschiedete und auf das "Marktortprinzip" (Spanien) verwies, mit der Folge, dass sich Google an die Datenschutzrechte des jeweiligen europäischen Landes halten muss, in dem es eine Niederlassung hat. Das Urteil des EuGH hatte zur Folge, dass Internetnutzer nun Anträge auf Löschung von Einträgen bei Google stellen können. Über 1,2 Millionen Links wurden seit dem Urteil bereits gelöscht.
Nicht mehr Ni Espunkt?
Nun, uns nützt das momentan nicht viel. Ich heiße jetzt wie ich wirklich heiße und Facebook behauptet zahlenden Werbetreibenden gegenüber, ich würde Goldfische essen und dabei stricken und auf meinen englischen Rasen blicken.
Ob ich für Facebook bezahlen würde, damit ich es nutzen darf und dafür auf Tracking verzichten würde? Ja, ich glaube, das würde ich vielleicht sogar tun. Kostenpflichtige Plattformen wie Xing gibt der Erfolg Recht. Ob wir mit der Klarnamenpflicht Terroristen aufspüren oder Hetzer leichter dingfest machen können? Kann sein, aber solange blanke Busen stillender Mütter auf Facebook gesperrt werden und rechtradikale Hetze unter Meinungsäußerung fallen, mag ich das Argument nicht so recht gelten lassen.
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Ich grill mir jetzt erstmal ganz in Ruhe ein Lama und dann versuche ich vor lauter Langeweile die Weltherrschaft an mich zu reißen.
Ich freue mich übrigens über Eure Ergebnisse von "Wer bin ich". Wessen Lifestyle ebenfalls von so spannenden Themen wie "Langeweile" oder "Föderalismus" geprägt ist, möge sich bitte auf meiner Terrasse einfinden. Es gibt Bier.
Prost,
JURAMAMA
Hier eine Linkleiste, wer jetzt sein Facebookprofil mal überarbeiten möchte:
-Wer bin ich? Hier überprüft ihr, wer ihr seid.
- Datenschutzeinstellungen auf Facebook überprüfen
- Das "Recht auf Vergessenwerden" bei Google, die Pressemitteilung des EuGH
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